Ergründung der Vielschichtigkeit
Eine kunstphilosophische Abhandlung als übergeordnete Betrachtungsweise des Themas Kunst, Umwelt und Nachhaltigkeit; Symposium / Forestival 2023
Ein Gedankenanstoß von Inge Mahara Sommer
Ergriffenheit - Verwirklichung - Kunst
Kunst entsteht für mich aus der Auseinandersetzung eines kaum formulierbaren Wissens der Seele mit der erlebbaren, sichtbaren Form, der menschlichen Formulierungsgabe, ihren Möglichkeiten und Grenzen. Als Künstler bewegen wir uns in diesem Grenzbereich – und manchmal gelingt eine Transformation.
Unser Leben und erleben ist ein Spiegel des Bemühens – des Erinnerns – als Seiltänzer über dem Seelensee. Der Balancestab ist die Sehnsucht, die Suche nach dem Sehen dessen, was als wesenhaft anwesend nicht greifbar ist, da sie sinnlich erfahrbar sich formulierend einer Aufgabe stellt. Jeder Musiker weiß darum, und jeder Ton hat einen Farbton. Eben die Klangfarbe. Oh ja. Auf-Gabe....sich öffnen für eine Gabe. Die Herausforderung ist die nie begreifbare Gleiche-Gültigkeit. Was bedeuten denn Bilder in einer Lichterwelt?
Ist die Natur nicht auch eine Lichterwelt? Ohne Licht kein Wachstum – ohne Wasser kein Leben – ohne Bäume kein Sauerstoff.
Für mich begegnen wir in der Natur dem Spirit Gayas, unserer Mutter Erde. Für mich ist Gaya ein lebendiges Wesen, das sich unseren Gestaltungskräften als Erfahrungsraum zur Verfügung stellt mit so vielen wunderbaren Manifestationen eines schöpferischen Bewusstseins, und uns an unsere Zusammengehörigkeit im weitesten Sinne als Spiegel zur Verfügung stellt.
Ist die Kehrseite der Abhängigkeit nicht Zusammengehörigkeit im weitesten Sinne? Sie erscheint außerhalb von uns, und ebenso ist sie in uns. Als Mikrokosmos im Makrokosmos allein schon durch unsere Nahrungsaufnahme. Unser menschlicher Spirit – unsere geistige Ausrichtig, Absicht, Entscheidung und Handlung - bestimmt unsere Wahrnehmung, Erlebniswelt und unseren Betrachtungswinkel. So spiegelt unsere Umwelt unseren Zeitgeist, unsere Entwicklung und unsere manifestierten Einstellungen. Sie ist eine lebendige Bibliothek.
Mutter Erde und ihre Erscheinungswelt vermittelt uns die Hingabe an die Vielgestaltigkeit – die Metamorphose und Synthese –, eine großartige Alchemistin voller Weisheit, Schönheit, lebendiger Strukturen und Bewusstseinsformen, die ihre kosmische Intelligenz und Beseeltheit mit uns teilt.
Jeder Baum ist so alt wie der erste Samenträger seiner Art und vermittelt eine zeitlose Präsenz, so wir bereit sind, uns tiefer und friedvoll lauschend auf die Korrespondenz über die Seelenebene einzulassen und mit dem innewohnenden Schöpfergeist in Kommunikation zu treten.
Hier seine Botschaft:
Ich, dein Gefährte, trage hohe Werte in mir, jene des Pulsierens, Reckens, Streckens, Strömens. Du kannst sie in dir wiederentdecken. Auch will ich dir wunderbare Erinnerungen schenken und Unsterblichkeit vermitteln. In der Fülle meines Samens ruht ein ganzer Wald.
Dass Urlicht darin tief verborgen anwesend ist, dem äußeren Auge unsichtbar. Doch mit dem Auge des Herzens tauchst du hinein in mein Urgewesensein. Innerhalb deiner kristallinen Struktur erfährst du mein Klingen und Singen im Dialog dessen, was du den Himmel nennst. Ungeahnte Stärke, die in dir ruht und entdeckt werden will, so du dich deiner Allverbundenheit und deiner Wurzelkraft bewusst selbst als ein Brückenglied erkennst in der Gewahrsamkeit einer liebenden Innenschau, entdeckst du in dir wer „Ich bin“ in dir ist.
In unserer Sprache ausgedrückt, bedeutet dies: Ich lasse mich ein, ich empfinde, ich fühle, ich bin ohne Bewertung in der Gewahrsamkeit dessen, was mich berührt. Dies beinhaltet, sich der eigenen inneren Räume bewusst zu werden, sich auszudehnen, sich zu entspannen und Gegenwart tief zu begreifen. Dieser Erfahrung Ausdruck zu verleihen, war die Intention vieler großer Künstler durch Dichtung, Musik und den bildenden Künsten.
Bildkräfte:
Bildung kommt von Bild. Da ich das Bild des Baumes wählte, begegnen wir hier der Macht der Symbole und ihren verborgenen Botschaften auf unterschiedliche Weise, zum Beispiel dem Begriff des Stammbaums.
Es ist in Vergessenheit geraten, dass in den alten Kulturen der Stammbaum der heilige Baum war, an dessen Stamm man die Placenten der Neugeborenen Mutter Erde zur Obhut übergeben hat, indem man sie dort vergrub. Die Wurzel des Wortes Heil ist hell – Licht. Man wusste um die Essenzen, die darin enthalten sind, und würdigte das Schöpferwesen in der Frau, da man die Gebärmutter als Manifestation der Göttin verehrte, ebenso wie Gaya als übergeordnete weibliche Empfängerin der lebensspendenden Kräfte als große Mutter geliebt wurde.
Heute wird dieses Wissen leider benutzt, um die darin enthaltenen Informationen in der Pharma- und Kosmetikindustrie zu Geld zu machen.
Das Christentum beruft sich im Alten Testament auf den Stammbaum Adams. Dieses Wort ins Deutsche übersetzt, bedeutet: Mensch. Während die Bibel von der Jakobsleiter spricht, verwenden wir heute den Begriff DNA.
Unsere Menschheitsgeschichte wirkt und lebt verborgen in uns allen. Hier möchte ich erinnern an die Bildnisse und Skulpturen der griechischen und römischen Epoche, die Darstellung der Planeten als Götter dieser Zeit in menschlicher Gestalt. Sie entsprechen dem Wissen um die Wirkungsprinzipien der Planeten als Einfluss auf unsere irdische Erfahrungsebene innerhalb paralleler Zeitlinien, welche ineinanderwirken und sich wie ein roter Faden durch die Kunstgeschichte ziehen.
Insofern hat die darstellende Kunst auch immer die Aufgabe übernommen, das bestehende Weltbild zu vermitteln. Bedeutet Renaissance nicht Wiedergeburt?
Und plötzlich steht der Mensch im Mittelpunkt.
So ist es mein Anliegen, durch einen höheren, vielleicht übergeordneten Blickwinkel das Thema Kunst und Umwelt einmal zu beleuchten, indem ich die Natur des Menschen als Handlungskompetenz und Interessenverwalter mit einbeziehe. In all den Zeiten, da das Lesen und Schreiben nur Privilegierten erlaubt war, hat die darstellenden Kunst die Aufgabe übernommen, über Bilder die Menschheits- also auch die Schöpfungsgeschichten zu vermitteln bzw. für die Nachwelt zu erhalten. Sowohl in der sakralen Kunst, als auch in der Bedeutungshervorhebung der Mächtigen ihrer Zeit.
Die Einordnung des Vornehmen entspricht der Einordnung derjenigen, die über ihren Reichtum in der Lage waren, sich etwas vorzunehmen, zu planen und umzusetzen. Was einem Leibeigenen zu der Zeit nicht möglich war.
So spricht man heute von Geschlechterhäusern, deren Einfluss und geistige Einstellung als Förderer des sich mehr und mehr entwickelnden Individualismus. Aber auch die Abhängigkeit unterschiedlicher religiöser Toleranzeinstellungen, verborgener geheimer Botschaften, da die Eingeweihten sich der Symbolsprache bedienten und teilweise immer noch dem heutigen Betrachter Rätsel aufgeben. So zeigen die Schlingmuster der Kelten bis zur Zeit der Merowinger, dass die Stammesoberhäupter als Lenker der Geschicke ihres Volkes und Feldhalter über die Energieknotenpunkten der Laylines der Erde sehr gut Bescheid wussten. Denn diese Muster entsprechen diesen Kraftplätzen, Planeten- und auch Sternenverbindungen auf den sogenannten Drachenlinien als Erdmeridiane.
Meiner Überzeugung nach reicht das Wissen dieser Wurzeln tief hinein in die alten Megalith-Kulturen, da die Vergangenheit immer auch die Gegenwart mitbestimmt. Auf diesen Plätzen entstanden später auf den Fundamenten alter Tempel die großen Dome und gotischen Kathedralen, fast immer der Notre Dame, der großen Mutter, Sophia als Weisheitsbewahrerin geweiht.
Die Macht und Vorherrschaftsentfaltung der katholischen Kirche hat darüber eine so hervorragende Stellung bekommen, da diese Kraftplätze und Energiezentren sich zu Metropolen entwickelten, die von den Entscheidungsträgern als Einflussnahme auf die Bildekräfte am Anfang bewusst, später als Traditionsbewahrer unbewusst benutzt wurden als Einflußbereich. Auch dies ist tief verinnerlicht in unserer Gesellschaft verankert und prägte über lange Zeit unser Verständnis von Hierarchien.
Die Energiezentren der Erde entsprechen unseren Chakren, wie es die östlichen Weisheitslehren benennen.
Durch die kollektiven Traumen der Menschheit als Erfahrung der großen Kriege, welche Einbrüche des Kontinuums mit sich brachte, z. B. Völkerwanderungen, Zerstörung und aufokratierte Gegnerschaften, hat sich auch die Kunst verändert. Weil diese Erfahrungsräume tief im Unterbewusstsein einer Völkerseele abgespeichert sind und auch Mutter Erde die Narben der Disonanzmuster in sich trägt.
Bevor das Christentum sich über die Titelübernahme des Pontifex als Titel der römischen Kaiser auf das Papsttum übertragen dann auch als Eroberer definierte, dies legitimiert wurde durch die Kirchenoberhäupter, und die Vorbilder durch Marien und Heiligenverehrung sowie auch der Leidverherrlichung manifestiert wurden, benannte man vorher die Landstriche, an denen Schlachten stattgefunden hatten, die Mutter der Schmerzen. In den Zeiten, da Mann gegen Mann kämpfte, war man sich bewusst, dass Gaya den Schmerz der Zergliederung trug und so mag es auch uns ergehen, wenn wir ein ehemaliges KZ besuchen, da die Emotionen der Leidtragenden im Opfer-Täterspiel im Raumzeitgefüge wie ein Fußabdruck in der Erde und im Massenbewusstsein als Disonanzmuster gespeichert sind.
Insofern sollte es ein Anliegen von uns allen und vor allem der Künstler sein – Licht und Schatten aus einem höheren Blickwinkel neu zu betrachten. Das Streben nach dem Wahren, Guten, Schönen beinhaltet in sich immer auch den Dialog auf der Seelenebene. Das nährende bewahrende gütige Prinzip in der Hingabe an das lebendige Sein als zeitloses Kontinuum, welches uns Mutter Erde als Gabe vermittelt entspricht einer liebevollen Urschöpferidee. Diese zu wahren, zurück zu erinnern ist unsere Aufgabe. Unsere Schöpferkräfte spiegeln also wessen Geistes Kind wir sind.
Die großen Künstler zu Beginn der Moderne rangen um die Wahrhaftigkeit als Ausdruck ihrer inneren Auseinandersetzung mit dem Schatten der Vergangenheit und entwickelten eine neue Formensprache auf sehr individuelle Weise und begegneten sich mit der Akzeptanz, die es benötigt, einer gemeinsamen Neuorientierung im sich gegenseitig befruchtendem Austausch.
Einseitige Blickwinkel und Interessenverbände verleiten manchmal dazu unser altes Schubladendenken aufrechterhalten. Doch die Menschheit steht seit der Entdeckung des Quantenbewusstseins nun selbst an der Schwelle eines Bewusstseinssprungs.
Was bedeutet dies für uns jetzt und für die Zukunft?
Wenn ich die Quantentheorie richtig verstanden habe, würde das folgende Beispiel veranschaulichen, was dies für unsere Menschheit bedeutet. Gesetzt der Fall, 50% der Menschen verbringen an einem Tag von ihrer Zeit 10 Stunden am PC, Handy, Fernsehen oder in den Social-Medien und lenken ihre Aufmerksamkeit dort hinein, bedeutet das eine Beschleunigung dieser Entwicklung von 40 Milliarden Stunden täglich. Diese Summe mal 365 Tage im Jahr ergibt eine Zahl, die uns innerhalb kürzester Zeit in ein vollkommen anderes Bewusstseinsfeld hineinsteuert, welches unser bisheriges Zeitgefüge und Zeitgefühl sprengt. Wir alle sind so gesehen mehr oder weniger Zeitreisende, da die Energie der Aufmerksamkeit folgt.
Wie wir wissen, wird alleine schon durch die eingeblendete Werbung das Mangelbewusstsein von Kindesbeinen an so gesteuert und manipuliert, damit sie als zukünftige Konsumenten aus unserer Bedürfnisspirale nicht mehr so schnell herausfinden. Was wäre, wenn Eltern und Kinder ihre Zeit voller Dankbarkeit, kreativer Gestaltung, voller Eigenfaszination in liebevoller Selbstbestimmung dies als Innovation ins Feld geben würden in der Freude an den eigenen Gaben und den ergänzenden Gaben des Gegenübers. Heraus aus einem Konkurrenzdenken, emotionaler Erpressung, Schuldzuweisungen und Dramenverwaltung.
Wir würden ein ganz anderes menschliches Bewusstseinsfeld kreieren, wenn jeder Mensch sich als ein Schöpferwesen und Entscheidungsträger begreift, und somit Verantwortung trägt. Dies wäre eine mögliche Antwort auf den alltäglichen Wahnsinn.
Eine solche Gegenüberstellung wertfrei zu betrachten ist mein Anliegen. Versetze ich mich in ein Kind, einen Jugendlichen, wo wähne ich mich sicher in einer Zeit von Informationsüberflutung, überreizten Eltern, überfüllten Altersheimen, ein expandierendes kollabierendes Gesundheitswesen, schwierigen Schulverhältnissen und abgespaltenen Ängsten des Ungenügend, Kriegsabsichten und ein Großrechner als Superlative, eine KI, welche meine Intimsphäre vollkommen ignoriert. Wenn es je ein Paradies gegeben hat, so war es ein Raumzeitkontinium, in welchem alles mit Liebe und Wertschätzung betrachtet wurde und entsprechend kommuniziert.
Wir leben in einer Zeitenwende inclusive einer Endzeit, indem wir in der Gegenwart die Weichen stellen und wir wieder lernen dürfen, liebevoll mit allem was ist - zu kommunizieren im Erkennen, das unser Unterbewusstsein sowieso in ständiger Kommunikation mit den Informationen schwingt, die an uns herangetragen oder im Raum sind. Jedes gesprochene Wort ist ein Schwingungsmuster in der Athmosphäre und somit sind wir auch dadurch ein Umweltgestalter.
Als Kunstschaffende bewegen mich diese Zusammenhänge sehr, da diese Erkenntnis mir eine Einsicht in meine eigenen selbsterzeugten Hologramme gewährt und ich dies als eine Orientierungshilfe begrüße.
Jeder Schöpfungsprozess ist also eine Herausforderung, durch die Emotionen hindurch das Wesenhafte – Wesentliche dessen, was auf der Seelenebene zum Ausdruck kommen möchte, zu berühren. Auch indem die Aufmerksamkeit auf die unerlösten Emotionen bewusst gelenkt wird um die Zwischendimensionen in das Gesichtsfeld des Betrachters zu lenken.
Wer kennt nicht das Bild „ Der Schrei“ von Edward Munch, seine Entstehung gilt als die Geburtsstunde des Expressionismus.
Der Materie sich so zu stellen das ein Werk eine zeitlose Botschaft enthält in der Hingabefähigkeit eines Genies, davon kündet das Werk Michelangelos. Er trug das Bildnis von Maria in ihrer zeitlosen Jugend und Schönheit, den unversehrten Christus auf ihrem Schoß als Bild in sich, bei der Darstellung seiner Pieta. Diese Pieta jenseits allen Leidens von der liebenden Verbundenheit über das Sterben hinaus von der Unsterblichkeit kündet.
Er schaffte es, über das persönliche Drama hinaus zu wachsen und durch den Schleier hindurch das Unsichtbare sichtbar zu machen. Wie er seine Figuren aus dem Stein herausschälte so auch stehen wir als Menschheit in diesem Prozess der wahren Menschwerdung.
Er ist für mich ein Beispiel in einer schwierigen Zeit voller Intrigen, Abhängigkeiten und schwelenden Auseinandersetzungen uns Zeugnisse zu hinterlassen, die weit über eine normale menschliche Identität hinauswachsen.
Michelangelo hinterließ uns folgende Zeilen: Es sandte mir das Schicksal tiefen Schlaf ich bin nicht tot ich tauschte nur die Räume. Ich leb in euch ich geh in eure Träume da uns – die wir vereint Verwandlung traf.
2023 :: Inge Mahara Sommer